Neu: Krankmeldung per WhatsApp – Das solltet ihr über die Online-Krankschreibung wissen

Online-Krankschreibung statt Arztbesuch? Krankmeldung per WhatsApp? Was vor kurzem noch undenkbar war, ist seit Ende 2018 Realität! Aber ist das Ganze wirklich legal und offiziell anerkannt? Und wie funktioniert die Krankschreibung per WhatsApp überhaupt? Wir haben den neuen Service für Patienten einmal genauer unter die Lupe genommen!

Das Wichtigste in Kürze

  • Online-Krankschreibungen sind über die Website AU.Schein.de möglich
  • Die Diagnose erfolgt über ein Online-Formular und wird durch einen kooperierenden Arzt bestätigt
  • Patienten erhalten ihre Krankmeldung per WhatsApp digital als Foto und zusätzlich per Post
  • Der Online-Patienten-Service kann nur für Erkältungskrankheiten und maximal zwei Mal jährlich in Anspruch genommen werden
  • Ein WhatsApp-AU-Schein gilt für maximal drei Tage; rückwirkende Krankschreibungen oder Folgebescheinigungen sind nicht möglich
  • Die Online-Krankmeldung kostet 9 Euro

AU.Schein.de: Wer steckt dahinter?

Über die Website AU.Schein.de sind seit Dezember 2018 Krankschreibungen per WhatsApp möglich. Hinter AU.Schein.de verbirgt sich ein Startup aus Hamburg, das sich die Lockerung des Fernbehandlungsverbots zunutze machte und die Online-Krankschreibung ins Leben rief.

Geschäftsführer des Hamburger Startups ist Dr. jur. Can Ansay, seines Zeichens Rechtsanwalt.

Übrigens: Ganz neu ist die Idee nicht. In anderen Ländern (z.B. England) gibt es die Möglichkeit der Ferndiagnose schon länger.

Wie funktioniert die Online-Krankschreibung?

Vorweg sei gesagt, dass die Online-Krankschreibung bislang nur für Erkältungen genutzt werden kann, da diese „ungefährlich, gut erforscht und besonders gut per Anamnese zu diagnostizieren sind“, wie es auf der Website des Startups heißt. Des Weiteren ist die Nutzung des Dienstes auf zwei Mal pro Jahr beschränkt, um einen möglichen Missbrauch der Krankschreibung per WhatsApp einzudämmen. Und: Der WhatsApp-AU-Schein soll nur für maximal drei Tage gelten. Rückwirkende Krankschreibungen oder Folgebescheinigungen sind ausgeschlossen.

So weit, so gut. Aber wie funktioniert das Ganze denn nun?

Wer sich den Gang zum Arzt bei einer Erkältung ersparen möchte, kann sich über die Website AU.Schein.de online krankschreiben lassen, indem er ein paar Fragen zu seinen Symptomen und etwaigen Risiken beantwortet. Das Ganze funktioniert folgendermaßen:

  1. Erkältungssymptome anklicken
  2. Risikofaktoren ausschließen (z.B. Schwangerschaft, chronische Erkrankungen etc.)
  3. Daten wie E-Mail-Adresse, Adresse und Handynummer angeben
  4. Zahlart auswählen

Schon hat man per WhatsApp Kontakt zu einem Tele-Arzt. Die Übertragung der persönlichen Daten und des Fotos der Versichertenkarte erfolgt nun komplett über den Ende-zu-Ende-verschlüsselten Messenger-Dienst WhatsApp.

Bestätigt der Tele-Arzt die Erkältung, erhält der Patient die AU innerhalb weniger Stunden oder bis zum nächsten Arbeitstag digital als Foto sowie zusätzlich per Post zugeschickt.

Welche Kosten fallen an?

Wohingegen man beim Besuch eines Arztes die Krankschreibung umsonst erhält, ist der Online-AU-Schein kostenpflichtig. Der Grund: Ärzte können den Service nicht gegenüber gesetzlichen Krankenkassen abrechnen.

Die Online-Krankmeldung schlägt somit mit einer Gebühr von 9 Euro zu Buche. Diese Gebühr kann per PayPal, mit Kreditkarte oder per Überweisung beglichen werden.

Ist die Krankschreibung per WhatsApp wirklich legal?

Viele Arbeitnehmer sind unsicher, ob es sich bei der Krankschreibung per WhatsApp wirklich um eine legale und anerkannte Art der Krankschreibung handelt.

Bis Mitte 2018 galt in der Tat die Regelung, dass Ärzte eine Diagnose nicht ausschließlich über Print- oder Kommunikationsmedien stellen durften, sondern zuvor immer ein Erstkontakt mit dem Patienten vonnöten war. Lediglich die Nachbehandlung konnte laut § 7 Abs. 4 der Musterberufsordnung der Ärzte (MBO-Ä) online erfolgen.

Eine Lockerung des Fernbehandlungsverbots in der MBO-Ä machte den Service des Hamburger Startups überhaupt erst möglich. Seit Mitte 2018 steht in § 7 Abs. 4 der MBO-Ä nun, dass Ärzte „im Einzelfall“ auch bei ihnen noch unbekannten Patienten eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien vornehmen dürfen, sofern dies „ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt“ gewahrt ist und der Patient zuvor über die „Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird“.

Diese Musterregelung ist inzwischen in Landes-Berufsrecht übersetzt. Schleswig-Holstein weitete die Regelung sogar noch einmal aus und strich die Beschränkung auf den Einzelfall aus der Ordnung. Und genau das machte sich das Hamburger Startup zunutze. Da die Online-Ärztin des Startups ihren Sitz in Schleswig-Holstein hat, kann die Online-Krankschreibung nicht nur für den Einzelfall, sondern für die Masse angeboten werden.

Das Startup selbst gibt auf seiner Website zu Protokoll, das Angebot sei „von Rechtsanwälten bestätigt“ (zur Erinnerung: der Startup-Gründer, Can Ansay, ist selbst Rechtsanwalt) und bezieht sich auf die bereits erwähnte Änderung zur Telemedizin.

Dennoch ist Vorsicht geboten. Die Skepsis vieler Arbeitnehmer ist berechtigt. Denn inwiefern die Lockerung des Berufsrechts tatsächlich auch die Krankschreibung per Ferndiagnose über ein Formular, also nicht nur ohne vorherigen persönlichen Kontakt, sondern auch ohne etwa ein Videotelefonat erlaubt, ist derzeit unklar. Gegner der Online-Krankschreibung monieren, dass ein Unterschied bestehe zwischen einer Fernbehandlung und der Fernausstellung eines Dokuments. Die Ärztekammer Schleswig Holstein prüft daher aktuell das Geschäftsmodell des Startups rechtlich und bezeichnete es bereits im Vorfeld als „fragwürdig“.

Müssen Arbeitgeber eine solche AU akzeptieren?

Rechtlich ist derzeit also unklar, ob das Geschäftsmodell des Startups zulässig ist. Nichtsdestotrotz können Patienten den Service weiterhin nutzen. Denn grundsätzlich besitzt die AU per WhatsApp durchaus bundesweite Gültigkeit. Dennoch wird sich so mancher Chef womöglich an dieser Art der Krankschreibung stören und misstrauisch werden. Und weigert sich ein Arbeitgeber tatsächlich die Krankschreibung zu akzeptieren, müsste die rechtliche Lage letztlich eben doch vor einem Arbeitsgericht geklärt werden.

Hierbei könnte der Arbeitgeber anführen, dass er „ernsthafte und begründete Zweifel“ an der attestierten Arbeitsunfähigkeit hat und dadurch den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung erschüttern (BAG, Urteil v. 19.2.1997, 5 AZR 83/96). Schließlich hat ein Arzt die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt, ohne den Patienten vorher zu untersuchen. Hier wiederum könnte man auch § 4 Abs. 1 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie heranziehen, der besagt, dass die Feststellung von Arbeitsunfähigkeit nur auf Grund ärztlicher Untersuchungen erfolgen darf.

Sobald es also zu einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit kommt, muss ein Gericht entscheiden, ob möglicherweise allein die fehlende direkte Untersuchung ausreicht, um den Beweiswert einer AU zu erschüttern. Es bestehen also in der Tat rechtliche Unsicherheiten für den Beweiswert einer durch AU-Schein.de ausgefüllten AU. Daher könnten Arbeitgeber eine solche AU ggf. eben auch anzweifeln.

Darauf weist übrigens auch das Startup selbst auf seiner Website hin. Dort heißt es, Arbeitgeber und Krankenkasse könnten misstrauisch werden und „abwegige Rechtsansichten“ vertreten. Unternehmensgründer Can Ansay zufolge seien seit dem Start des Dienstes im Dezember 2018 jedoch rund 1.000 Bestellungen eingegangen und etwa 950 Krankschreibungen ausgestellt worden – Probleme mit der Anerkennung der Krankschreibung hätte keiner dieser Patienten bekommen (zumindest hätten sich bisher weder Patienten noch Arbeitgeber mit entsprechenden Problemen bei der Hotline gemeldet).

Wie ist der Datenschutz geregelt?

In der Diskussion um AU-Schein.de wird vielfach kritisiert, dass WhatsApp bisher die einzige Möglichkeit ist, eine Krankschreibung zu erhalten. Zwar ist die Kommunikation dort Ende-zu-Ende-verschlüsselt und verstößt somit Angaben des Startup-Gründers zufolge nicht gegen die datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Allein die Tatsache, dass in Meta-Daten die Kommunikation mit einem krankschreibenden Arzt protokolliert ist, stößt datenschutzbewussten Kritikern und sicherlich auch Patienten jedoch durchaus auf. Denn auch, wenn WhatsApp datenschutzkonform und Ende-zu-Ende verschlüsselt ist und die Daten somit nicht eingesehen werden können, laufen die Daten aber nun einmal über deren Server in den USA. Hier muss also im Grunde jeder für sich selbst entscheiden, ob er solch sensible, personenbezogene Daten, Kontakte und Meta-Daten mit dem Facebook-Konzern „teilen“ möchte.

Kritikpunkte, Vor- und Nachteile

Einer der wohl größten Kritikpunkte ist, dass Arbeitnehmer den Service zum „Blaumachen“ ausnutzen könnten. Allerdings ist die Nutzung des Services, um einem solchen Missbrauch vorzubeugen, auf zwei Mal pro Kalenderjahr limitiert. Befürworter des Online-AU-Scheins entgegnen der Kritik zudem, dass Krankschreibungen bei Erkältungskrankheiten in der Praxis oftmals ohnehin reine Formsache sind. Also weshalb sollte eine solche Krankschreibung nicht online erfolgen dürfen. Zumal die Symptome einer Erkältungskrankheit für jeden ganz einfach selbst zu diagnostizieren sind. Und: Da einer Studie der Uni Magdeburg zufolge Krankschreibungen bei trivialen Erkrankungen einen Großteil der Arztbesuche verursachen, ließen sich das Gesundheitssystem und Arztpraxen durch die Nutzung des Online-Services sinnvoll entlasten, so die Argumentation der Befürworter des Startup-Angebots.

Einen weiteren Kritikpunkt führen die Ärztekammern in Hamburg und Schleswig-Holstein an. Diese raten aufgrund der rechtlich ungeklärten Grundlage des Online-AU-Scheins von der Nutzung des Angebots ab. Das Startup weist auf seiner Website jedoch immer wieder darauf hin, dass die AU per WhatsApp bundesweite Gültigkeit besitzt und bislang keine Fälle bekannt sind, in denen Arbeitgeber und / oder Krankenkassen die AU angezweifelt hätten.

Auch aus datenschutzrechtlichen Gründen wird der Online-AU-Schein kritisiert. Dass der Service nur über WhatsApp genutzt werden kann, stößt zudem vielen bitter auf. Eigenen Angaben des Startups zufolge arbeite man jedoch derzeit an einer eigenen App und überlege zudem auch andere Messenger zu bedienen. Allerdings wolle man erst klären, bei welchen Messengern sich der Entwicklungsaufwand lohne.

Das Unternehmen selbst wiegt die Vor- und Nachteile des Services übrigens folgendermaßen ab:

Vorteile:

  • Man vergeudet keine wertvolle Genesungs-Zeit für einen Arztbesuch
  • Man steckt niemanden im Wartezimmer an
  • Die Anfrage an einen Arzt kann rund um die Uhr erfolgen und wird zeitnah beantwortet
  • Patienten erhalten vorformulierte Therapieempfehlungen in gleichbleibend hoher Qualität, die vorher mit ärztlicher Hilfe besonders sorgfältig erstellt wurden
  • Die Behandlung ist auf dem Handy des Patienten dokumentiert
  • Die Fehldiagnoserate ist gering, da durch den Fragenkatalog des Unternehmens Risikopatienten und solche Patienten aussortiert werden, die Symptome aufweisen, die bei Erkältungen statistisch nie vorkommen
  • Die mit dem Startup kooperierenden Ärzte sind durch ihre Tätigkeit für das Unternehmen auf Erkältungen spezialisiert

Nachteile:

  • Anders als beim Praxis-Arzt fällt für die Online-AU eine Servicegebühr an
  • Es ist kein direktes Gespräch mit dem Arzt möglich; weitere aufwändige Fragen können daher nicht gestellt werden
  • Um den Service nutzen zu können, braucht man ein Smartphone oder Tablet-PC, die App WhatsApp sowie eine Internetverbindung
  • Man muss mindestens einen Tag länger auf den AU-Schein im Original per Post warten
  • Arbeitgeber können den Service recherchieren und wissen dann, dass man sehr wahrscheinlich eine Erkältung hat
  • Der Arbeitgeber und Krankenkassen könnten misstrauisch werden, weil der Arzt an einem anderen Ort sitzt und die Wahrscheinlichkeit von Blaumachen bei Telemedizin höher eingeschätzt wird
  • Zwar ist WhatsApp datenschutzkonform, Ende-zu-Ende verschlüsselt und kann die Daten selbst nie einsehen – dennoch laufen die Daten über deren Server in den USA

Fazit

Der Service, sich per WhatsApp krankschreiben zu lassen, sorgt aktuell für kontroverse Diskussionen. In der Tat birgt der Dienst einige Tücken. Nichtsdestotrotz wird er inzwischen rege genutzt. Ob die Vor- oder die Nachteile bei der Nutzung dieses Services schwerer wiegen, muss letztlich jeder Patient für sich selbst entscheiden.

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